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T r a v e l s  -  R e i s e n




I s t a n b u l - T e h e r a n



Vangolu Ekspresi Istanbul - Tehran, Anatolia 1973 (WS)


Im Istanbuler Pera Palace Hotel, das einst Wagons-Lits gehoerte, in dessen Speisesaal hinter jedem Tisch ein Kellner steht, wo Saeulen, Segmentboegen und Stuck mit verstaubten Blattpflanzen um die Wette wuchern, dunkelrote Plueschvorhaenge die gemeine Welt draußenhalten, dort bekommt der Rezeptionist beinahe einen Schock bei der Frage nach der Zugverbindung nach Teheran. "Sie sollten nicht mit der Bahn fahren", raet er dringend.

Natuerlich war seine Warnung vergebens gewesen. Es ist schon der Morgen des zweiten Reisetages, der 9. August 1973, als ein Perser, der zwar auf dem Fußboden hatte schlafen muessen, der aber mit wohlriechenden Rosenessenzen, gutem Wein und orientalischen Liedern die Reise durchaus zu genießen weiß, auf franzoesisch doziert: "Le jour qui passe, ne revient plus". Draußen begrenzen an jenem Morgen hinter Ankara ockerfarbene und roetliche Huegel den Horizont eines Anatolien, das immer das gleiche Bild bietet: braune Erde, fast kein Baum, nur gelbes Gras, ab und zu winkende Kinder und ein einzelnes, in der Ferne sich verlierendes Gleis - nach Europa oder Asien. Auf irgendeiner Kreuzungsstation kommt der Taurus-Express aus Bagdad mit der ueblichen Verspaetung von 10 Stunden entgegen, einen alten ehemaligen CIWL-Schlafwagen vom Typ SGT am Zugschluss.

Der Dogu Ekspresi auf dem Gegengleis in Bogazkoeprue fuehrt an jenem Tag den Salonwagen Nr. 14 fuer irgendwelche Prominenz mit. In Kayseri glaenzen in der Nachmittagssonne 1D der amerikanischen Kriegsbauart und 1E-Maschinen. Eine Hindu-Frau mit rotem Punkt auf der Stirn aus einem der iranischen Kurswagen waescht unterdessen am Bahnhofsbrunnen Babywaesche.

Der tuerkische Speisewagen ist bis spaet in die Nacht hinein ueberfuellt. In welcher Sprache wird hier NICHT gesprochen? Auf franzoesisch, tuerkisch, englisch, schweizerdeutsch und persisch fliegen Wortfetzen von Tisch zu Tisch, tuerkischer Wein und gute Menus schaffen jenes kosmopolitische Milieu, das Agatha Christie in "Murder on the Orient Express" und Paul Morand in "Voyageuses" beschrieben haben.

Junge Menschen aus vielen Laendern sind die Akteure: ein Englaender mit langem weißen Nachtgewand, ein Österreicher, welcher seine gelbe Huendin "Samantha" im Abteil gelassen hat ("your dog will not come to dinner?" fragt ihn ein Orientale), ein hippie-man mit Pferdeschwanzfrisur, ein Europaeer im Russenkittel, ein blondes Maedchen in einer braunen Franziskanerkutte (hier im Zug Europa - Asien wird in jenen Hippie-Jahren die Mode gemacht, nicht in Paris), ein junger Franzose mit seiner reizenden Freundin und ein Japaner, der via Thailand in seine Heimat faehrt.

Die Nacht ist voller Wunder: Weiß, schwarz und silbern brauen bizarre Wolken um einen Vollmond (ein Perser erklaert, wieso nur hier ueber den hochliegenden Steppengebieten solche Wolkengebilde entstehen koennen); in einem Tal biegt sich weit, weit vorne die Lichterkette der 13 Wagen, der Scheinwerferkegel der Diesellok beleuchtet eine rote Felswand und ein Gewaesser (ein Nebenfluss des Euphrat) spiegelt das ganze einen Augenblick lang, bevor das Licht von einem Tunnel verschluckt wird.

Malatya grueßt nachts mit einer Kavalkade schwerer 1E-Lokomotiven aus der Vorkriegszeit. Am Morgen des dritten Reisetags erklimmt der Zug zwischen erstarrten Lava-Halden muehsam eine Steilrampe. Nur noch wenige andere Fahrzeuge sind zu sehen. Ein kleiner dieselhydraulischer Vierkuppler kommt mit dem Tageszug nach Adana entgegen. Endlos zieht sich die Fahrt durch die steinernen Schluchten des Murat hin.

Ein weites, leeres Gleisvorfeld mit nur einer einzigen Mikado 46.2 markiert die Station Mus, wo einst die Bahn zu Ende war. Eine lange Rampe fuehrt am linken Rand eines weiten Tales auf ueber 1700 Meter Hoehe hinauf. Die Diesellok DE21 wird lauter. Fremdartig stehen gemauerte Tunnels gegen Schneeverwehungen in der kahlen Landschaft.


Vangolu Ekspresi, "Refet Unal", Tatvan Pier, August 1973
Am Spaetnachmittag kommt endlich der blaue See Vangoelue ins Blickfeld. Nach Rueckwaertsfahrt und Wenden auf einem Gleisdreieck verteilt ein preußischen Vierkuppler die direkten Kurswagen, zwei iranische und zwei tuerkische, auf die drei Gleise des weißen Trajektschiffes "Refet Ünal", waehrend von Osten her das Schwesterschiff "Orhan Altiman" mit den Wagen aus Teheran kommt. Die anschließende Fahrt ueber den Hochgebirgssee - fuenfmal so groß wie der Bodensee - ist wahrhaft romantisch: Links verschwimmt ein 4100 Meter hoher Vulkankegel im Abendnebel, kein anderes Schiff ist zu sehen, erst nach Stunden kommen steuerbords die Lichter des Piers von Van in Sicht.

Bis Mitternacht stehen die Menschen auf den Gleisen und schauen zu, wie eine "deutsche V60" die Wagen vom Faehrschiff auslaedt. Gegen ein Uhr faehrt der Zug vom Bahnhof Van los. Das sofort einsetzende kraftvolle Heulen zeigt an, dass eine andere Maschine vorgespannt ist. Es muss meilenweit in dieser menschenleeren Urlandschaft zu hoeren sein, in der das Gleis bis ueber 2000 Meter Hoehe hinauffuehrt. Tot und unheimlich liegt links die bleiche Wasserflaeche eines Salzsees.

Die Morgensonne bescheint das Lokomotiv-Ungeheuer, welches den Zug ueber Nacht vom Vangoelue heraufgebracht hat: Brutal und eckig, schwarz vom Dieselqualm (nicht lieblich, wie europaeische Diesellok) liegt es zwischen kahlen Felsen zwanzigmeterlang auf den Schienen - eine sechsachsige General Motors GT26CW der iranischen Klasse 90.

Die Station heißt Razi und am Bahnhof prangen in jenem Sommer 1973 die Bilder von Schah und Farah - der Zug befindet sich an der Grenze des Iran. Es ist der vierte Tag seit Abfahrt in Istanbul und langsam machen sich die Strapazen bemerkbar. Seit Van sind die Wagen ueberfuellt, Menschen schlafen in den Korridoren und die Aborte - ein Loch im Waggonboden - sind so verdreckt, dass es jemand vorzieht, seine Notdurft auf dem Übergang zwischen den Wagen zu verrichten. Ein Mitreisender hatte einen Fieberanfall - es wird Paratyphus vermutet - und ein Arzt kontrolliert sorgfaeltig die Impfpaesse.


Istanbul - Tehran, Nato Line, Iran 1973 (WS)


Langsam tastet sich die General Motors-Maschine mit ihren 28 Wagen - acht Reisezug- und zwanzig Gueterwagen - auf der strategischen Nato-Bahn abwaerts, an einem Steinschlagabgang vorueber - auf einer Felsspitze ueber dem schwindelerregenden Abgrund gibt ein Eisenbahner Zeichen mit einer Flagge - und ueber den 410 Meter langen roten staehlernen Kotur-Viaduckt hinweg in eine Steinwueste ohne Gruen und ohne Leben. Beim Mittagessen spaeter bildet der iranische Speisewagen, mit Air Condition, frischen Blumen auf den Tischen und dem Panorama des hellblauen Rezayeh- oder Urmia-Sees vor den Fenstern, einen seltsamen Kontrast zu dem vorher Gesehenen. Und ploetzlich, bei Sufiyan an der Einmuendung des Gleises von der sowjetischen Grenze her, bietet sich fuer den Eisenbahnnarren eine kleine Sensation: Verrostet, umgeben von braunem Steppengras, stehen in der Einsamkeit unverkennbar russische Dampflokomotiven, uralte Vierkuppler der Gruppe O.

In Tabriz ist dann auch noch ein russischer Fuenfkuppler der Gruppe E abgestellt, dazu russische Zweiachser-Wagen, eine 1E Klasse 51, wie die deutsche 44, und amerikanische "Middle East"-Mikados 42.4, alles nurmehr Schrott. Der Zug faehrt in Tabriz so schnell ab, dass einige der Reisenden zurueckbleiben. Am Spaetnachmittag schimmert rechts wieder die Wasserflaeche des Urmia-Sees, das Ufer eingerahmt von einer weißen Salzkruste. In einer kleinen Station kommen die Wagen zum Stehen und am Bahnsteig winken die "verlorenen Soehne" - sie sind von Tabriz aus in einem Taxi nachgefahren.

In Maraghegh rangiert die General Motors die nunmehr 9 Wagen nochmals durcheinander, bevor es, abermals durch kahle Steppe, bergauf, bergab, in den Abend hineingeht. Wo Wasserlaeufe sind, faehrt der Express in der Daemmerung an Obstgaerten und an Laubwaeldchen vorueber. An einem Brunnen vor einem Dorf sitzen Maenner, Frauen und Kinder und schauen den so fremden tuerkischen Wagen nach.

Und als ob es der Wunder auf dieser Reise nicht schon genug gegeben haette, schließt sich in der vierten Nacht noch ein weiteres an. Unwirklich und unglaublich taucht die Lichterschlange in ein Tal ein, dessen Schluende und Felskegel so bizarr und grotesk, scheinbar ohne jeden Sinn aufragen - das "Tal der Mondberge" bei Mianeh. Am naechsten Morgen, mit zwoelfstuendiger Verspaetung, laeuft der Zug in den modernen Bahnhof von Teheran ein. Nach vier Tagen unglaublicher Bahnfahrt geht es weiter in das sagenhafte Isfahan, das naechste Wunder des Iran.


Isfahan (WS)


Istanbul - Baghdad Diyarbakir Israel - Negev Istanbul - Iran