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T r a v e l s  -  R e i s e n




O s t - W e s t - E x p r e s s

Moskva-Express Berlin - Moskva, DB 232 ex-DR, DB 143 ex-DR, Berlin Ost 1992 (WS)


Bis wenige Tage vor Abfahrtstermin zur Reise ueber Sibirien nach Peking hatte sich die chinesische Botschaft mit dem Visum Zeit gelassen und selbst die zufaellige Urlaubsbegegnung mit Hua Guafeng's Cousin konnte nichts nutzen, ja haette eher schaden koennen, denn Hua war bekanntlich durch Deng entmachtet worden... Schließlich konnte die Fahrt doch noch mit dem chinesischen Visum im Pa , dazu dem sowjetischen, dem polnischen und dem mongolischen, am Sonntag, den 27. Maerz 1988, also noch zur "sozialistischen" Zeit, am Berliner Hauptbahnhof losgehen. Der heiße Tee, den die "Mamuschka" aus dem Samowar des sowjetischen Schlafwagens serviert, weckt an jenem kuehlen Morgen die Lebensgeister. Es ist ein bequemes Vierbettabteil in einem der hohen Wagen aus dem Werk Ammendorf, das uns die Schaffnerin zugewiesen hat. Weit vorn brummt eine russische 132 der DR, dahinter laufen DR-Wagen nach Warschau, die sechs sowjetischen Schlafwagen Berlin - Moskau und am Schluss waren ein russischer RIC-Schlafwagen Oostende - Moskau sowie ein uralter "Belgier" aus dem in Berlin auf dem Nachbargleis eingelaufenen Zug angehaengt worden. Es ist der erste Teil des Ost-West-Express, welcher nun, nach einem Stop in Karlshorst, gemaechlich der polnischen Grenze zustrebt.

Halt in Frankfurt (O). Weiterfahrt ueber die Oderbruecke, nun hinter einer frischgruenen polnischen Diesellok SP 45, dann Pause in Rzepin, dem frueheren Reppen. Nach langer Zeit kommt, ebenfalls hinter einer SP 45, ein Schnellzug nach, der Zug 241, der zweite Teil des Ost-West-Express. Eine Elektrolok ET 22 setzt unseren "Belgier" an dessen Zugschluss, zieht alles bis auf einen PKP-Buffetwagen ab, sortiert die Schlafwagen aus, haengt diese "unserem" Zug an und stellt auf dem Nachbargleis die nach Warschau bestimmten Sitzwagen zu einem neuen Schnellzug 245 zusammen. Er faehrt zuerst ab, dann folgen wir als Ost-West-Express 241 hinter einer EU 07 nach.

Mittagessen im Mitropa-Speisewagen. Das Essen und das Pils aus Radeberg sind gut - aber der Wagen ist leer. Ob man bei Mitropa in Polen mit polnischen Zloty zahlen kann, darueber war sich die Dame an der Rezeption in Schalck-Golodkowsky's Berliner Palasthotel am Morgen nicht ganz sicher gewesen. Der Mitropa-Kellner jedenfalls nimmt gerne Westmark.

Irgendwo kommt ein kurzer Zug mit hohen sowjetischen Wagen und am Schluss einem Mitropa-Speisewagen entgegen, der Moskwa-Express. Und auf der Fernstraße nebenan Lkw-Kolonnen und Mercedes-Limousinen... Im Abteil wurden die freien Plaetze durch eine junge Russin mit ihrem Soehnchen belegt. Vielleicht Angehoerige von einem Offizier der sowjetischen Garnison? Im letzten Wagen plaudern Franzoesinnen, es ist der Schlafwagen Paris - Moskau. In den Gaengen zischen zur Teestunde die Samoware.

Gegen Abend durchquert der Zug die Industrievororte von Warschau. Und mitten in dem Gleiswirrwarr leuchtet, eher hellblau als gruen, unverkennbar eine Stromliniendampflok der Reichsbahnbaureihe 0310 aus der Daemmerung! Am Bahnhof Warszawa Wschodnia stehen zehn hohe sowjetische Schlafwagen und ein Postwagen hinter einer EU 07, wohl ein Sonderzug, vielleicht ein Militaerzug.

Eine andere Begegnung mit Warschau ist in Erinnerung geblieben. Es ist ein Novembertag, als Schneetreiben durch die Straßen fegt, um zwei Uhr nachmittags schon ueberall die Lichter brennen und Stalins Kulturpalast sich nach oben in den Wolken verliert. In der Katakombe des unterirdischen Central-Bahnhofs lastet noch der Kohlenrauch von den sowjetischen "harten" Schlafwagen des eben ausgefahrenen Zuges nach Moskau ueber Vilnius, als hinter einer EU 07 und drei Zweiter-Klasse-Wagen elf leuchtend blau gestrichene polnische Schlafwagen mit gelben Aufschriften einfahren. Schaffner in ebenso leuchtend blauen Wintermaenteln steigen aus. Die Reisenden, deren Fahrkarten sie beim Einsteigen kontrollieren und die ihre unzaehligen Gepaeckstuecke in die Dreibettabteile einschichten, gehoeren wohl kaum der Funktionaersschicht an, welche damals am Hotel Victoria vorfaehrt - fast nur Maenner, einfach gekleidet, dazu ein paar Muetterchen mit ihren Habseligkeiten. Nach Ansage in mehreren Sprachen, darunter deutsch, setzt sich der "Interexpress Polonez" in Bewegung, nach Moskau...

Mit unserem Ost-West-Express geht es aus dem Wschodnia-Bahnhof nach zehn Minuten wieder hinaus in die Ebene. Die ueberschwemmten Wiesen tragen eine Eisschicht. Es faengt zu schneien an. Wie fahren Ende Maerz in den Winter hinein...

Licht an, Kontrolle. Halt in Terespol. Ein abermaliger Stop, dann Einfahrt in Brest auf der Nordseite des Inselbahnhofs, der "europaeischen". In Rueckwaertsfahrt wird der Zug nach Sueden hinaus- und dann vorwaerts in eine hell erleuchtete Halle hineinrangiert. Die letzten Wagen schiebt eine Diesellok ChME3 auf das Nachbargleis. Die Wagen werden getrennt, vor- und zurueckbewegt, bis sie in den richtigen Abstaenden an den Winden stehen, die Schraubenschluessel liegen bereit, dann beginnen die Monteure die harte Arbeit von der Grube aus. Die Wagenkaesten werden angehoben, mit Hilfe eines fahrbaren Brueckenkranes geschieht das Auswechseln der Kupplungen, per Seilzug laufen die Normalspurdrehgestelle heraus und breitspurige herein, Absenken, Montage der Bremsleitungen, letzte Kontrolle, dann rollen die Wagen in der urspruenglichen Fahrtrichtung hinaus. Die Monteure lassen sich zu einer kurzen Zigarettenpause nieder.

In der gleichen Richtung wie zuvor, nun aber auf der suedlichen, der sogenannten "asiatischen" Seite des Bahnhofs, kommt der Zug zum Stehen. Gegenueber ist der Kiew-Express eingelaufen, hohe Schlaf- und ein Speisewagen Kiew - Brest, hohe Wagen nach Berlin, RIC-Schlafwagen nach Warschau. Wir fahren in oestlicher Richtung um zwei Uhr nachts ab.

Graue Morgendaemmerung, ein Halt, schlaefrig, viel zu schlaefrig zum Aufstehen. Nur ein Blick aus dem Fenster und - stolz, schoen, hellgruen mit rot steht draußen als Denkmal eine Schnellzuglok P36 wie eine Vision im Nebel. Der Bahnhof war Orsha. Nach einer guten Stunde wieder ein Halt, kleine Haeuschen an einer Straße, nass vom Regen - Smolensk. Hier wird ein Zug Brest - Moskau ueberholt, alles hohe gruene Wagen, in der Mitte das Restaurant, vorne Post- und Gepaeckwagen und eine rote tschechische Wechselstromlok ChS4T.

Ost-West-Express, Borodino (WS)


Tee im Abteil, es ist gemuetlich warm - und draußen Schnee, Wassertuempel, Birkenwaelder. Vyazma, Lokwechsel. Hier hatten einst schreckliche Schlachten stattgefunden. Bei der Ausfahrt sind endlose Reihen Wechselstromlok ChS4T, Gleichstromlok ChS7, VL8, Diesellok TEP60 und TE3 in der trueben Landschaft zu sehen. Ein aelterer Herr im Seitengang, Arzt aus Moskau, fragt nach Theatern und Museen, kennt Berlin, Prag, Wladiwostok. Und er macht auf eine der naechsten Bahnstationen aufmerksam, die der Zug durchfaehrt, Borodino. Holzhaeuschen und Schnee - hier hatte Napoleon seinen vermeintlichen Sieg errungen.

Im Wagen wird die Bettwaesche eingesammelt, es herrscht Aufbruchstimmung. Zu essen hat es nichts gegeben, denn im Speisewagen werden nur Rubel angenommen, Rubel duerfen aber nicht eingefuehrt werden. Draußen grueßt die bizarre Silhouette des Auenhandelsministeriums. Puenktlich um 14 Uhr 41 kommt die Doppellok ChS7 mit dem "Vostok-Zapad", dem Ost-West-Express, im Weißrussischen Bahnhof von Moskau zum Stehen.

Moskau - hier ist alles eine Nummer groeßer als zu Hause. Die Stadt hat zehn Millionen Einwohner, das Hotel Leningradskaya sieht aus wie die fruehen Wolkenkratzer Amerikas, auf den Ringstraßen wird zwoelfspurig gefahren, zwischen den neun Fernbahnhoefen verkehrt eines der groeßten U-Bahnnetze der Erde, im Bolschoi-Theater trifft sich das internationalste Publikum und auf dem Roten Platz, vor dem Eingang zum Lenin-Mausoleum, warten taeglich Tausende von Menschen.

Auch auf der Eisenbahn ist die Groeße von Stalins Riesenreich gegenwaertig, etwa wenn am Weißrussischen Bahnhof hinter der Tuermchenfassade am Nachmittag die Zuege bereitstehen: Der "Neman" nach Grodno, daneben der "Polonez" nach Warschau. Zwei Jahre zuvor war hinter diesem am 7. Mai 1986 der Regierungszug der DDR gestanden, damals noch mit Staatswappen, an beiden Enden je ein sowjetischer Dienstsalonwagen. Die polnischen Schlafwagen gaben Rueckendeckung, dennoch Herzklopfen beim Photographieren.... Der DDR-Zug war wohl einer Spazierfahrt, denn fuer Regierungsreisen wurde das Flugzeug benuetzt. Der Aufregung nicht genug - im Vorfeld steht die wuchtige Masse einer Dampflok, imponierend, eine gewaltige moderne 2D2, Serie P36, Nummer 0120, in Hellgruen mit rotem Band und roten Boxpock-Raedern, riesiger Feuerbuechse, amerikanisch anmutendem Fuehrerstand und sechsachsigem Tender - welch ein Anblick!

"Berlin" steht auf einer Ankunftstafel, der Ost-West-Express laeuft ein. Hinter einer großen gruenen Doppellok der Serie ChS7 sind es damals, im Mai 1986, vier "harte" Schlafwagen gewesen, ein Restaurant mit Laufschild "Berlin - Moskau", sechs Berliner "harte" Wagen und am Schluss drei RIC-Schlafwagen aus Aachen, Paris und Hoek van Holland. Man muesste photographieren, wie aber wuerde der Polizist vor der Lok reagieren?

Eine Allee an jenem sonnigen Tag, endlose Vorstadtboulevards - der Spaziergang tut gut zur Entspannung. Unterwegs ist die Stuckfassade des Rigaer Bahnhofs zu sehen, dann, hinter der Überfuehrung, auf der die Zuege zum Kursker Bahnhof rollen, der bizarre Turm des Kasaner Bahnhofs und gegenueber der Leningrader, Oktober- oder Nikolai-Bahnhof. Hinter seinem klassizistischen Gemaeuer steht der gruene Zug "Karelia" nach Petrozavodsk und an einem anderen Bahnsteig warten zwei Garnituren in Koenigsblau mit Hellblau zur Fahrt nach Tallinn,die eine ueber Bologoe - Pskov, eine rote ChS2T an der Spitze, die andere der Zug 34 "Estonia", ebenfalls nach Tallinn, aber ueber Narva.

Vorbei an Ministerien, Polizisten, Offizieren, dann und wann einem auffallenden Zivilisten mit ordensgeschmueckter Brust, schwarzen Tschaika-Limousinen (solche, die mit geschlossenen Vorhaengen in den Kreml einfahren duerfen, ohne angehalten zu werden) in Richtung auf das Hochhaus an der Kotelnitscheskaja-Uferstraße, ein gewaltig-phantastisches Architekturgebirge aus der Stalinzeit, dann eine Kleinstadtgasse huegelaufwaerts, ist der Weg zum Kursker Bahnhof ein Weg der Kontraste, denn dessen Halle besteht aus Glas und ist modern wie der roemische Flughafen von Pier Luigi Nervi. Die Menschen hier aber sind Arbeiter und Bauern wie in einer Balkanstation und die Zuege sind nicht so farbig wie die am Weißrussischen Bahnhof, sondern einheitlich gruen und verstaubt, wenn sie von den langen Strecken aus Kaukasien oder vom Kaspischen Meer einlaufen. Alle paar Minuten kommt hinter einer ChS2 ein Langstreckenzug an oder faehrt ab, alle sind voll ausgelastet mit bis zu 19 Wagen und 1986 waren versuchsweise 32- und 36-Wagen-Garnituren nach Simferopol gefahren.

Noch fremdlaendischer ist der Kasaner Bahnhof, dessen Innenhof unterhalb von dem "babylonischen" Turm eher einer malerischen Karawanserei gleicht. Hier faellt man als Fremder noch mehr auf, auch wenn man sich mit einem Anzug mit weiter Hose so unauffaellig gekleidet hat, dass bei der Rueckkehr in das Auslaendern vorbehaltene Intourist-Hotel zum Eintritt erst das Permit vorgezeigt werden muss. Nur ein Übermuetiger koennte hier auf den Gedanken kommen, zu photographieren, etwa die Zuege aus Tashkent, aus Andizhan oder den Express "Kirgizia" aus dem fast 4000 km entfernten Frunze, der gerade auf die Minute puenktlich (versteht sich, damals) mit einer ChS2 verstaubt neben den anderen gruenen Zuegen zum Stehen kommt.

Ganz anders wieder ist der kleine uebersichtliche Paweletsker Bahnhof, wo einige gruene und blau/gruene Zuege nach Saratov an der Wolga mit der ChS2 und die gruenen elektrischen Vororttriebwagen zum Flughafen abfahren.

Exotischer wirkt der Jaroslawler Bahnhof, etwa wenn nachmittags Zug 5 langsam, geradezu feierlich, aus Ulaanbaatar einlaeuft und wenn aus dessen roten und gruenen sowjetischen Vierbettkupeewagen die Menge der Reisenden quillt, einige Leute in Nationaltrachten, fremdartige Mongolen und dazu Offiziere, die gewiss von den fernsten Vorposten an der chinesischen Grenze kommen.

Abends steht ein ganz anderer Zug da, warten andere Menschen. Einfach gekleidete Leute, russische Arbeiter und Bauern bevoelkern die 17 gruenen Waggons des Zuges nach Arkhangelsk. Als er mit einer ChS2 den Bahnhof verlassen hat, wird ein gleicher Zug bereitgestellt: Rauch aus den Heizoefen, wieder viele Reisende, nur Russen, Auslaender sind hier nicht zugelassen zur sowjetischen Zeit - der Zug nach Vorkuta, der Zug in die Kaelte.


Moskva (WS)


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