trains-worldexpresses.com
T r a v e l s  -  R e i s e n




T r a n s a n d i n o   n a c h   C h i l e



Transandino, April 1993 (WS)


Pampas und weite Steppe - am anderen Ende, nach 1049 Kilometern, kam der Nachtexpress "El Libertador" der Ferrocarriles Argentinos mit seinen klimatisierten Schlafwagen, Pullman, Erster, Speisewagen, Lounge-Kinowagen und Autotransporter zweimal woechentlich in Mendoza am Fuß der Anden an. In dem kleinen Durchgangsbahnhof, unter englischen Formsignalen und Palmen, steht noch eine sechsachsige Alco-Diesellok mit zwei Wagen des Fiat-Typs - still. Der Fahrdienstleiter sagt, dass der letzte Express nach Buenos Aires am 10. Maerz 1993 abgefahren ist, 108 Jahre nachdem der erste Zug in Mendoza angekommen war. An die Vergangenheit erinnern nur mehr die hoelzernen Vierachser, einer mit dem Fabrikschild der Birmingham Railway Carriage & Wagon Co. von 1911, die unter Eukalyptusbaeumen ihr Rentnerdasein als Bauzugwagen fristen.

Neben den Durchgangsgleisen endet an einem Prellbock unscheinbar ein Meterspurgleis des Netzes General Belgrano. Hier sind die Reisenden auf den "Transandino" nach Chile umgestiegen. "Vor zwoelf Jahren ist er eingestellt worden", sagt der Jefe. Eine Landkarte verzeichnete danach noch die Strecke fuer Gueterverkehr bis Las Cuevas. Das Geschehen spielt sich schon laengst am Busterminal ab. Wir aber wollen nicht mit dem Bus nach Chile reisen, sondern auf den Spuren des Transandino ueber sechs Stunden mit dem - Taxi.

Am anderen Morgen vor der Abreise herrscht gespannte Erwartung. Wolken haengen ueber den Vorbergen der Anden, 4000m hoch. Die Straße verlaeuft zunaechst suedwaerts, neben dem zugewachsenen Bahngleis. Dann tauchen Straße und Bahn nach Westen in eine Schlucht, staehlerne Eisenbahnbruecken stehen immer noch da, die Trasse fuehrt neben Geroell abwaerts an einem schaeumenden Fluss entlang ueber rote Erde unter kahlen Haengen durch eine trostlose Steinlandschaft. Das Tal wird ein wenig lichter, eine Tafel gibt die Hoehe mit 1500m an. Die Pappeln am Fluss sind schon gelb, es ist April, hier Herbst. Wieder eine Schlucht, das Gleis geht auf Geroellhalden unter Felsabstuerzen hindurch, fast ohne Kunstbauten, nur eine Steinschlaggalerie ist irgendwo gemauert. Roetliche Bergspitzen ueberragen einen grauen Basaltkegel. Die Bahn verlaeuft jetzt an der linken Seite des Rio Mendoza. Die Straße geht ueber eine Fachwerkbruecke und an einem Friedhof vorbei, dessen Graeber auf dem blanken Geroell liegen. Irgendwo hier soll es die letzte Ruhestaette der toten Bergsteiger vom Aconcagua geben. Das Dorf Uspallata in 2000m Hoehe, umgeben von finsteren Bergen, ist Station fuer die argentinischen, brasilianischen und chilenischen Lkws.

Die Gipfel im Westen stecken in Wolken. Der Fluss hat hier im Talboden eine nochmals tiefere Schlucht gegraben. Auf den suedlichen Abbruechen, auf einem schmalen Plateau, ist das einsame Gleis verlegt. Darueber tuermen sich auf unendlichen Halden von rotem Porphyr die Steilwaende. Nieselregen setzt ein. Die Bahn wechselt auf das noerdliche Ufer. Neben der neuen Asphaltstraße kuenden Reste der alten von den lebensgefaehrlichen Reisen Buenos Aires - Chile zur Zeit der Pferdegespanne.

Schwarze Basalthalden glaenzen in der Naesse. Das Bahngleis wechselt wieder auf die suedliche Talseite, auf der anderen ist eine verlassene Trasse auszumachen. Schneeregen nun. Dann schneit es immer dichter, das Schneetreiben geht in die Wolken ueber, fast nichts mehr ist zu sehen. Puente del Inka, ein Posten in der Einsamkeit, irgendwo verlassene Hotels, alles geschlossen. Die ersten Kehren der neuen Straße und - Stau. Im Schneesturm kann man kaum aussteigen, dann geht es langsam weiter, in eine voellig umschlossene moderne Halle hinein. Mindestens vier Linienbusse stehen darin zur Grenzabfertigung aufgereiht.

Die Straße von der Zollhalle weiter hinauf zu dem in 3200m Hoehe in den Fels gesprengten Scheiteltunnel ist gesperrt. Zuvor war der Straßenverkehr durch den Bahntunnel geleitet worden. Die noch aeltere Straße, auf der die Chile-Reisenden mit Fuhrwerken die Anden ueberquert haben, fuehrt in halsbrecherischen Kehren weiter hinauf bis zu der Statue Cristo el Redemptor in 4200m Hoehe. Und nochmals mehr als zweitausend Meter hoeher steigen die kahlen Felsberge auf. Nur zu ahnen, fast stets in Wolken gehuellt, muss darueber der eisgekroente Aconcagua sein, rund 7000 Meter hoch, dessen Steilwand viertausend Meter tief nach Sueden abfaellt...

Nach einer schwierigen Rueckfahrt nach Mendoza ist das Flugzeug der einzige Weg nach Santiago de Chile. Der fruehe Wintereinbruch laesst es dort in Stroemen regnen. Die Zeitungen berichten von Schiffsuntergaengen im Hafen von Valparaiso, der Rio Mapocho hat Hochwasser und von Ferne schimmert der Neuschnee auf den Bergen. Der Bahnhof Mapocho, wo die Breitspurzuege aus Los Andes, dem Endpunkt des Transandino, ankamen, ist stillgelegt worden. Alle Zuege des Breitspurnetzes der Staatsbahn fahren von der Estacion Alameda oder Central ab. Am Abend des 15. April 1993 ist es zunaechst der "Salon" nach Chillon, ein Elektrotriebzug AEZ-45, angehaengt ein Wagen der Clase Economica, das ganze gezogen von der E-3007, einer blau-orangefarbenen Ellok von Breda im Diesellokstil der fuenfziger Jahre. Nebenan steht der Rapido 1023 nach dem Hafen Puerto Montt im aeußersten Sueden mit einem stromlinienverkleideten Autotransporter, dem "Dormitorio" X-3 von 1928 mit "amerikanischen" Sections und nachtraeglich angebauter "Schuerze", einem Liegesitz-"Salon", dem stromlinienverkleideten Speisewagen Y-10 und zwei ebensolchen Economica, bis hier alle aus Deutschland und in den blau-weiß-gelben Farben der Via Sur, dazu am Schluss ein Economica des argentinischen Typs in Schwarz-weiß-rot. Gefolgt wird er vom Rapido 1017 nach Temuco mit Autotransporter, zwei "Dormitorio", dem Speisewagen und zwei "Salon" der gleichen Typen.

Temuco ist der Endpunkt der Elektrifizierung. Dort hatte einst der Vater von Pablo Neruda als Eisenbahner gearbeitet. Neruda erinnerte sich an die Reisen der armen Leute in den Lokalzuegen: "Dieser langsame Zug, der verschiedene Gegenden und Klimazonen durchquerte und mit dem ich so oft gereist bin, bewahrt fuer mich noch heute seinen seltsamen Zauber. Landleute mit feuchten Ponchos und Huehnerkoerben, wortkarge Araukaner, ein ganzes Leben entfaltete sich in so einem Dritter-Klasse-Wagen...

Spaetestens 1996 verschwand der Rapido nach Puerto Montt, er fuhr tageweise noch nach Puerto Varas, dann gar nicht mehr. In Santiago erinnern die abgestellten Wagen aus den zwanziger Jahren in Rotbraun des Ferrocarril Central oder FC Sur an die große Zeit der Eisenbahn und - die riesige amerikanische Mountain Nr. 851, die am Prellbock in der staehlernen Halle steht, so, als ob sie soeben den Rapido hereingebracht haette.

Andere herrliche Lokomotiven stehen im Parque Quinto Normal - und er ist zu. Freundliche Polizisten sperren ihn eigens auf und so beginnt ein Gang wie im Traum. Unter gruenen Baeumen zeigen sich die Schoenheiten: die aelteste eine 2C von Rogers 1896, eine Meterspur-1D von Rogers, C, 1D und 2C von Borsig der Typen 47, 51 und 59, eine 1C Typ 57 von NBL, die 1912 (gegen den Willen der Großmaechte) in Valparaiso gebaute 2C Nr. 306 des Typs 20, mit dem gruenen hoelzernen Praesidentenwagen aus USA, die 1D1 Nr. 903 von Krupp 1935, die wuchtige Trans-Anden-Lokomotive 3349 der FCTC-Meterspur in blassem Gruen und dann die Riesen: die 1929 von Baldwin entwickelte und 1953 noch von Mitsubishi nachgelieferte Mountain Nr. 856 des Typs 80, die 2D2 "Super Montana" des Prestigetyps 100 von Henschel 1935 und, schwarz wie die anderen, aber mit blauen statt roten Raedern die schwerste, die Mountain 1110 des Typs 110 von Alco 1940.


Rapido 1023 Santiago - Puerto Montt, Transportador Automoviles, Dormitorio, Santiago Alameda (Central), April 1993 (WS)



MERVAL Valparaiso - Quillota, AES-3, Valparaiso 1993 (WS)

Download this picture with 1500 pix, 300 dpi (572 KB)


Ziel der Kap Hoorn-Segler, Ziel der Sehnsucht, das war immer Valparaiso. Im Cook vom Vorjahr sind noch immer Zuege der Merval, der Metro Regional de Valparaiso, dorthin verzeichnet, doch die Dame an der Information bedauert, 1991 seien sie eingestellt worden. Der Bus faehrt in knapp zwei Dritteln der Fahrzeit durch Pinienwaelder abwaerts in die alte Stadt am Meer, deren Haeuser sich am Berg hinauftuermen. Sechzehn Schraegaufzuege brachten die Bewohner in die oberen Stadtviertel. Heute fahren nur noch wenige; einer davon ist der Ascensor Reina Victoria von 1902, ein paar Schulkinder sind die Passagiere.

Am Meer steht der Kopfbahnhof Puerto von 1937, Endstation der Bahn am Pazifik. Moderne elektrische AES, Vororttriebwagen der Merval, verkehren auf der Breitspur nach Quillota. Weiter bis Los Andes, wo die Meterspur des Ferrocarril Transandino endete, sind nur gelegentliche Touristenzuege verzeichnet. Zuerst geht es am Meer entlang wie an der italienischen Riviera, an Villen und Palmen vorueber, und dann bei Vina del Mar an einem Betriebswerk vorbei, an dem die seltensten Ellok stehen: eine vierachsige, ein bisschen im Stil der stromlinienfoermigen GG1 der Pennsylvania, daneben die Karkasse einer eckigen mit Plattformen, dazu braune und blaue Wagen und ein alter "Comedor" in Violett mit Gelb. Die Gleise winden sich den blauduesteren Bergen entgegen und in einer kleinen Station, Vila Alemana, was ist das? Eine Dampflok? Die staehlerne Masse einer amerikanischen Mountain! Nichts wie raus, und da steht sie, riesig, als sei sie gerade aus Los Andes eingefahren, als haette sie die Weltreisenden des Sud-Expess und des Transandino auf dem Weg zum Pazifik gebracht, als sei die Zeit stehen geblieben...


Mountain no.823, Vila Alemana, Chile 1993 (WS)

Download this picture with 1500 pix, 300 dpi (537 KB)




Sud-Express adieu  In memoriam  AVE Madrid - Sevilla  Tunis  Le Maroc  "Le Mistral du Senegal"  Mexico 
Cuba, Costa Rica, Panama  Auf Humboldt's Spuren  Expreso del Sur  Rio de Janeiro  Nach Paraguay  Argentina - no corren  Transandino nach Chile