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T r a v e l s  -  R e i s e n




M e x i c o



Chihuahua - Los Mochis, Mexico (WS)

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Noch in den fuenfziger Jahren konnte man im Pullman-Schlafwagen, im Abteil mit bequemen Betten, Fauteuil und eigenem WC, von den USA, zwar mit dreistuendigem Aufenthalt in der Grenzstadt Nuevo Laredo, aber dennoch ohne Umsteigen, nach Mexico City reisen, wie eine vornehme Dame ueber ihre Fahrt von New York nach Mexico aus dem Jahr 1959 erzaehlte. "Es war teurer als der Flug, sehr teuer", sagte sie, die Frau eines Bankers. Sie schwaermte von dem Service, vom "Boy" mit den weißen Handschuhen und von den Mahlzeiten im Speisewagen. Und - "irgendwo in Mexico hielt der Zug unter kreischenden Pfiffen der Lokomotive und von den umliegenden Doerfern kamen Leute mit Blechnaepfen, um etwas zu essen zu holen, was ihnen das Personal zusteckte."

Vorbei. - Die Armut gibt es noch, und auch das altmodische Ritz, in dem wir uebernachten, die Expresszuege aber verkehren nicht mehr, ueber die Grenze fahren nurmehr Taxis. Chihuahua, an der anderen Strecke nach den USA, an einem Spaetnachmittag im Februar 1995: Mit einem Taxi geht es zum Bahnhof, um den Zug 13 Mexico - Ciudad Juárez zu erwarten. Die Stadt hat zwar einige Hochhaeuser, aber noch immer sind hier Maenner mit Sombreros und Frauen in Tracht unterwegs. Unter einem grauen Wolkenhimmel biegt das Auto in eine Straße ein, an deren Ende der Bahnhof liegt, ein Betonbau, wohl aus der Nachkriegszeit. Es ist die Station der Ferrocarriles Nacionáles, davor als Denkmal die Lokomotive 625, ein schwarzer Dreikuppler von Baldwin. Er vermag kaum die Erinnerung an die riesigen Schnellzuglokomotiven aufrecht zu erhalten, die hier einst die Expresszuege nach Mexico City gezogen haben. Anfang der sechziger Jahre sollen es dann zweiteilige dieselelektrische Alco, vermutlich die schoenen FPA-2 oder FPB-2 gewesen sein, waehrend die 2D2 von Baldwin und Alco schon in den Lokaldienst um México verbannt worden waren.

Die Bahnsteige sind leer, nur ein paar Indios, in bunte Decken gehuellt, schlafen am Boden in der Halle. Auf den Gleisen unter den kahlen Karstbergen wartet vor einem Gueterzug eine General Motors in den hellblauen Farben der FNM, dahinter steht ein ebenso bemalter Schlafwagen mit der Nummer 119, sicher ein Pullman aus dem zwanziger Jahren, am Ende des Bahnhofs ist ein schwarz-weißes Fluegelsignal nordamerikanischen Typs als Museumsstueck erhalten. Das eine Gleis, das, in einer Kurve um die Stadt herum, von Sueden aus dem 1614 Kilometer entfernten México heraufkommt, bleibt leer. Um 17 Uhr 05 haette der Zug einfahren sollen, nun ist es schon sechs Uhr vorbei, man sollte doch einmal am Schalter nachfragen. "Drei Stunden hat der Zug Verspaetung" sagt der freundliche Beamte, "vielleicht kommt er um acht." Die Indios in der Halle koennen ruhig weiterschlafen...

Am anderen Morgen, am kleineren Bahnhof von Chihuahua, der Station des ehemaligen Ferrocarril de Chihuahua al Pacifico, brummt die in zweierlei Hellblau lackierte General Motors Nr. 1029, eine vierachsige 3000 PS-Lok der Gruppe GP-40, im Leerlauf vor vier ebenso hellblauen Großraumwagen mit dem orangefarbenen Schriftband der Ferrocarriles Nacionáles des México, der FNM. Es ist der Zug 74 "El Chihuahua Pacifico". Sein Ziel ist Los Mochis am Stillen Ozean, 655 km entfernt, jenseits der dreieinhalbtausend Meter hohen Sierra, unerreichtes Ziel einst fuer die Bahnbauer und Finanzabenteurer der Texas, Topolobampo & Pacific Railroads, die Europa und Fernost verbinden wollten, und dann der ueber Ojinaga aus USA herfuehrenden Kansas City, Mexico & Orient Railway, jetzt Ziel von Touristen und Reisejournalisten aus aller Welt, dem Prospekt nach schlicht Schauplatz der "spektakulaersten Bahnfahrt der Erde."

Es ist erst halb sieben Uhr morgens, stockdunkle Nacht an jenem 16. Februar 1995, der Mond steht hoch am Himmel. Die Schaffner kontrollieren vor dem Einsteigen die Fahrkarten, jeder Platz ist reserviert, es gibt ausschließlich die "Primera Especial", Fahrpreis 115 Pesos, ungefaehr dreißig Mark. Daneben sind ein Speisewagen und der Clubwagen "Chihuahua Pacifico" abgestellt, am anderen Gleis wartet mit einfacheren Waggons der langsamere Zug 74, der eine Stunde spaeter auf die gleiche Strecke geht. Der exklusivere Zug 74 ist frueher auch als "Expreso de lujo" bekannt gewesen, noch in den achtziger Jahren lief er als Zug 6/5 "Vista Tren" mit Speisewagen. Die General Motors trugen damals rot-schwaerzlichgruenen Anstrich, auch schwaerzliche Stromlinienwagen von Linke-Hofmann-Busch fuhren noch. In den siebziger Jahren hatte Cook einen Aussichtswagen verzeichnet, daneben gab es damals einen Nachtzug mit Sitz- und Schlafwagen.

Um sieben Uhr, auf die Minute puenktlich, faehrt der Zug 74 los. Mit viel Tuten geht es durch die naechtlichen Vororte. Links zeichnen sich die Karstberge, Kegel und Mesas gegen den Morgenhimmel ab. Zur Rechten begleitet die Schienen eine Autobahn. Sie laesst an die Carrera Panamericana denken, bei der sich in den fuenfziger Jahren Mercedes, Ferrari und Porsche im wahrsten Sinn des Wortes toedliche Schlachten geliefert haben. Nach einer Stunde durchschneidet das eine Gleis den ersten Felsdurchbruch, es folgen die ersten Tunnels, die naechste Barriere wird mit rund 70 km/h ueberwunden, ein See blinkt in der Ferne. Erster Halt, Cuauhtémoc. Farbige Haeuser an Erdstraßen saeumen die Bahn, Maenner stehen herum und schauen den Zug an. Southern Pacific-Gueterwagen reihen sich auf den Gleisen; hier ist Landwirtschaftsgegend, besiedelt von den Mennoniten, eine religioese Gemeinschaft, deren altdeutsche Sprache sich bis heute erhalten hat.

Die Liegesitze in der "Primera Especial" sind viel bequemer als im Flugzeug. Die Wagen wurden um 1985 in Mexico nach japanischer Lizenz gebaut, erklaert der Zugfuehrer. Bis etwa in die fuenfziger Jahre hinein seien hier amerikanische Dampflokomotiven vor Reise- und Gueterzuegen gefahren. Das war lange vor der feierlichen Eroeffnung des eigentlichen Gebirgsabschnitts zum Pacific durch die Sierra Tarahumara hindurch am 23. November 1961. Diese Berge sind nach den Tarahumara-Indianern benannt, den einzigen, die sich den spanischen Eroberern entziehen konnten, indem sie ins Hochgebirge auswichen. Noch heute sollen sie ihre Behausungen unter Felsvorspruengen und in Hoehlen haben und es werden die phantastischsten Geschichten ueber sie erzaehlt. Sie nennen sich selbst "die Laeufer", sie koennen, bergauf und bergab rennend, stundenlang einen Hirschen hetzen, bis er vor Erschoepfung zusammenbricht, und sie traten vor Jahrzehnten zur Olympiade an - in selbstgemachten Sandalen...

Äcker und Viehweiden erstrecken sich ueber ein weite Hochflaeche. Halt in La Junta. Hier zweigt die Strecke des ehemaligen Ferrocarril Nor-Oeste de México nach Ciudad Juárez ab, die schon laengst keinen Reisezugverkehr mehr hat. Am Bahnhof steht verrostet der ehrwuerdig-alte sechsachsige Schlafwagen 502, dessen gruene Blechwaende noch die gelbe Aufschrift "Chihuahua al Pacifico" und den Namen "Río Chinipas" erkennen lassen. Sollte er nach Eroeffnung der durchgehenden Strecke ueber den Río Chinipas noch gefahren sein?

Der Lautsprecher kuendigt die naechsten Halte an, San Juanito und Creel. San Juanito ist ein Holzfaellerdorf in mehr als 2000m Hoehe. Im Winter kann es hier 20 Grad unter Null haben. Die meisten Huetten sind aus rohem Holz. In engen Kurven geht es aufwaerts zum "Kontinentalen Tunnel". Halt in Creel, benannt nach dem Gruender des ersten "Ferrocarril Chihuahua al Pacifico" und lange Zeit Endpunkt der Bahn.

Ein lachender Schaffner serviert Lunchboxes zum Mittagessen. Durch Kiefernwaelder fuehrt die Strecke abwaerts und wieder aufwaerts. Der hoechste Punkt mit 2461m wird bei km 583 erreicht, die Kilometerzahlen immer ab Ojinaga, 265 km jenseits von Chihuahua, gerechnet. Taeler oeffnen sich, in einer Schleife ist unter uns das eigene Gleis zu sehen. Halt in Divisadéro Barrancas: In einer Kurve wartet der Gegenzug mit einer Generals Motors in Hellblau-orange; Indiofrauen sitzen barfuß auf dem Boden und verkaufen Sachen, links droht ein Abgrund, der Canyon des Río Urique, 1200m tief, Teil des Schluchtensystems des Urique, Cobre und Tararecura, viermal so groß wie der Grand Canyon des Colorado...

In San Rafaél wird ein gelber Bremserwagen nach Art der amerikanischen "cabooses" angehaengt. Nach einer Hufeisenkurve folgen immer wildere Schluchten, immer neue Ausblicke, in einer Station kommt der langsamere gemischte Zug, der "mixto", mit drei General Motors entgegen, dann folgt, am Grund eines Canyons angelangt, Tunnel auf Tunnel. Kurzer Halt in Bahuichivo, und wieder Tunnels, zwischen den Felsen Kiefern, Zedern und Feigenbaeume. Bei Kilometer 585 zwaengt sich die Bahn in ein Seitental und in einen Kehrtunnel, "La Lazo". Wieder zwei Tunnels, Rechtskurve und - atemberaubend, in der Tiefe links unten ist die Strecke zu sehen, wie sie auf einer gelb gestrichenen Stahlbruecke in einer Kehre einen Fluß ueberquert und alsbald den Blicken entschwindet. Nach Kreisen in einem Kehrtunnel taucht sie zur Rechten wieder auf, links oben nun das Gleis, auf dem wir heruntergekommen sind, daneben ein Wasserfall wie aus einem Touristenprospekt, darunter der Haltepunkt Santa Maria Magdalena. Dann die Fahrt ueber die gelbe Bruecke, Puente de Santa Barbara, in einer 180°-Kurve, jetzt an der linken Seite des Flusses abwaerts - einfach zu viel zum Schauen, zu viel zum Photographieren, Deutsche und Amerikaner draengen sich mit Kameras an den offenen Tuerfenstern (anders als bei Amtrak verbietet das hier niemand), das Schauspiel ist, wie die begeisterten Amerikaner sagen, "absolutely incredible" - einfach unglaublich.

Ein Canyon wieder zur Linken, noch tiefer als alle zuvor, kein Bankett, kein Weg neben dem Gleis, senkrecht brechen die Felswaende nach unten, es muessen Hunderte von Metern sein, in der Tiefe liegt ein zerschmetterter Gueterwagen. - Wer sein Kapital darin investierte, eine Bahn ausgerechnet ueber diese Sierra Madre zu bauen, die Wilde Sierra, der muss verrueckt gewesen sein...

Die Felsen sind nun tropisch ueberwuchert, baumhohe Kakteen ragen aus dem Gruen, Agaven klammern sich an die roten Klippen. In den Canyons sollen schon ueber vierzig Grad Hitze gemessen worden ein. Jetzt liegen die Schluchten bereits in der Daemmerung, die himmelhohen Haenge und die bizarren Spitzen der Sierra leuchten noch in der Nachmittagsonne.

Die hoechste Bruecke wird angesagt, die Bruecke ueber den Río Chinipas, laut Reisefuehrer 110 Meter hoch. "Uuh", Ausrufe des Schauderns, "das ist sie", in unendlicher Tiefe der Fluss, nicht der geringste Steg neben dem Zug, der ganz langsam faehrt und - "da liegt ein Waggon unten", ruft jemand, wirklich, ein Gueterwagen am Ufersteilhang, welch ein Gruseln...

Unmittelbar darauf ein zwei Kilometer langer Tunnel. Er traegt den beruhigenden Namen "Tunnel der Diebe". Subtropische Waelder lassen nun tatsaechlich das Auge entspannen.

Aber noch steht die laengste Bruecke bevor, der 538 Meter lange staehlerne Viadukt ueber den Río Fuerte. Wieder ganz langsam naehert sich ihm der Zug, wieder fehlt jeder Steg, die Schienen scheinen fast in der Luft zu haengen, und "nur" 45 Meter tief unten brodelt, schaeumt, strudelt ein ungeheurer tropischer Fluss, rotbraun, beinahe blutrot seine Fluten, unausdenkbar der Gedanke, da hinein abzustuerzen...

Wie aus einer erschreckenden Geisterbahn geht es unter einem lichten Abendhimmel in das friedliche Flachland hinaus. Bald kehrt die Nacht ein. Um 20 Uhr 30 kommt der Zug 74 "Chihuahua Pacifico" in seiner Endstation Los Mochis an.

Die Strecke des Ferrocarril del Pacifico weiter nach Sueden, heute FNM, einst Teil der Southern Pacific, ist vierzig Kilometer vor Los Mochis in Sufragio gekreuzt worden. Deren "Tren del Pacifico" von Nogales und Mexicali an der amerikanischen Grenze nach Guadalajara kommt hier aber zu einer so nachtschlafenen Zeit durch, daß es geraten schien, zur Weiterfahrt lieber am anderen Vormittag den Bus zu benuetzen.

Mazatlán: Traumstand der Mexikaner, die Avenida del Mar fast wie die Copacabana von Río - am Bahnhof ist nichts davon zu bemerken. Baertige Maenner hocken zwischen Buendeln am Bahnsteig, man wird angebettelt, und immer wieder gefragt: "Los Angeles?". In der kleinen Cafeteria sitzt ein Ehepaar mit Baby, sie spricht englisch, sagt, daß sie es in Los Angeles gelernt hat. "Wohin?" - "Mexicali." - Sie sagen nicht USA, aber meinen es. - "Wann faehrt ihr Zug?" - "Mañana", morgen. Sie wissen es nicht. Es ist acht Uhr frueh, nach Fahrplan soll der "Tren del Pacifico" nach USA abends durchkommen. Ein anderer Mann zeigt einen goldenen Ehering: "Von meiner Frau, echt Gold. Ich verkaufe ihn Ihnen, ich will nach Los Angeles..."

Der sechsachsige silberne Salonwagen TL 21 "Mazatlán" steht am Bahnhof, eine graue Alco rangiert, eine sechsachsige General Motors steht daneben, eine sechsachsige MLW faellt durch rot-weiß-blauen Anstrich auf. Der Tren del Pacifico nach Sueden haette laut Cook um 8 Uhr 15 hier sein sollen, nach einem Plakat waere er schon um 6 Uhr 55 abgefahren, wer weiß... Es bleibt nichts anderes uebrig, als wieder mit dem Bus, diesmal nach der naechsten Station Tepic, weiterzufahren, dort muesste der Tren del Pacifico in beiden Richtungen mittags zu sehen sein.

Bei der Kleinstadt Acaponete kreuzt die Eisenbahn die Straße, die Bahn eingleisig, die Straße schmal - dennoch faehrt der Bus Hoechstgeschwindigkeit, alles was sein bruellender Diesel hergibt. Zwischen den Vorbergen der Sierra Occidental geht die Fahrt hinauf nach Tepic. Eine Kathedrale, enge Gassen, Maennertavernen, irgendwo Mariachi-Musiker und ein kleiner alter Bahnhof. Hier scheint die Photojagd nach dem "Tren del Pacifico" endlich erfolgreich zu sein, auf einer Tafel ist mit Kreide die Uhrzeit 14.20 fuer die Abfahrt nach Norden angeschrieben.

Zuerst kommt von Sueden hinter einer gewaltigen sechsachsigen "Super 7" von General Motors ein Kesselwagenzug mit ungefaehr 300 Achsen herein. Unterdessen fuellt sich der Bahnsteig mit Menschen, Marktfrauen brutzeln etwas an ihren Imbissbuden und schließlich faehrt, von weitem mit dem Scheinwerfer leuchtend, hinter zwei hohen "Super 7", puenktlich der Zug Nr. 1 "Tren del Pacifico" aus Guadalajara mit Anschluß aus México ein. Aber was ist das? Drei Wagen nur haengen hinter dem riesigen Lokomotivengespann, hellblau wie die Lok, der erste eine einfache "Primera" von Hawker Siddeley Canada, die anderen die "Primera Especial" nach japanischer Lizenz. Die ersten beiden Wagen fahren nach Nogales, der letzte nach Mexicali. Auf dem Plakat war der Zug noch mit sechs der blauen Wagen abgebildet und ein aelteres Photo zeigte ihn als "El Costeño" mit zehn Wagen, darunter zahlreichen Gepaeckwagen und einem Dreiergespann aus vierachsigen General Electric und einer Alco.

Nur mehr eine "Super 7", die 14007, faehrt nach einer Viertelstunde unter Bimmeln mit den drei Wagen an den kleinen Haeusern der Stadt vorueber und zwischen den Vorbergen der Sierra nach Norden. Der Kurswagen nach Mexicali wird am anderen Tag in Benjamin Hill auf den einstigen Ferrocarril Sonora Baja-California uebergehen, dessen GP 40-2 auch schon schwerere Reisezuege gekannt haben als diesen Tren del Pacifico. Am naechsten Abend soll er, nach 2100 km Fahrt seit Guadalajara, in Mexicali ankommen. In dreistuendiger Busreise koennen seine Passagiere von dort nach Tijuana fahren und weiter nach San Ysidro oder San Diego, zum Anschluß an den "San Diego Trolley" oder die Amtrak-Zuege nach dem Traumziel Los Angeles. Oder sie versuchen, illegal ueber die Grenze zu kommen...


Tren del Pacifico Guadalajara - Nogales/ Mexicali, Diesel "Super 7", Tepic, Feb.1995 (WS)



Primera Especial, Dormitorio 707 "America" (ex "Eagle" services?), El Tapatio Guadalajara - Mexico (?), Mexico Buenavista, Feb.1995 (WS)

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México Ciudad, Estación Buenavista, 13. Februar 1995: Der Zentralbahnhof der Zwanzigmillionenstadt ist modern und leer. Vor der Glasfassade steht als Reminiszenz an die 3 Fuß-Schmalspur eine schwarze 2-truck Shay von Lima 1887, die 1905 durch die Teziutlan Copper Co. gekauft und bis 1966 zwischen Teziutlan und Libres eingesetzt worden war. Teziutlan liegt an dem schmalspurig gebliebenen Zweig der Interoceanic Railway, welche die Ozeane zwischen Vera Cruz und Acapulco haette verbinden sollen, aber ihr Ziel nie erreichte.

Die Glastueren zu den Bahnsteigen sind hier grundsaetzlich verschlossen, doch als sie fuer ankommende Reisende geoeffnet werden, gelingt es, hindurchzuschluepfen und - da steht der soeben eingefahrene Zug hinter zwei hellblauen vierachsigen General Electric, wohl U-36 B mit den Nummern 9144 und 9160, dahinter einem Schuettgutwagen der Missouri Pacific, einem hellblauen Wagen zweiter Klasse, zwei silbernen von Hawker Siddeley Canada der Ersten, einem blauen Erster-Klasse-Wagen und einem japanischen der Primera Especial - alles vor der Silhouette des pyramidenfoermigen Wolkenkratzers im Stadtviertel Tlateloco.

Der Fahrplantafel nach muesste es der Zug Nr. 2 aus Nuevo Laredo sein, dem Cook und der Wagenreihung nach waere es Nr. 8 "División del Norte" aus Ciudad Juárez. Sollte der Fahrplan falsch angeschrieben sein? Am Schluss des eingelaufenen Zuges wird zur Rangierfahrt noch eine Garnitur, bestehend aus einer Primera Especial, dem Schlafwagen 707 "America" und zwei weiteren Sitzwagen angekuppelt. Am interessantesten ist der Schlafwagen: Er entspricht dem "10 and 6"-Typ, der mit 10 roomettes und 6 Abteilen mit WC 1950 fuer die "Eagle"-Dienste der Pennsylvania, Missouri Pacific und Texas Pacific zwischen der amerikanischen Ostkueste und Texas gebaut worden war. Wie bei allen Zuegen hier, traegt kein Wagen ein Laufwegschild. Der Uhrzeit nach koennte es sich um den "Tapatio" aus Guadalajara handeln, mit Anschluß aus dem Tren del Pacifico, einst mit direkten Schlafwagen aus Nogales und Mexicali nach México D.F.

Das Gespann der General Electric setzt sich vor einen kurzen Zug am anderen Bahnsteig. Eine Tafel verkuendet dessen stolzen Namen: "Aguila Azteca", der "Adler der Azteken", "Aztec Eagle" der Amerikaner, der Zug Nr. 1 nach Nuevo Laredo, noch in den fuenfziger Jahren mit Wagen der Missouri Pacific noch San Antonio und einem Pullman-Schlafwagen fuer den "Texas Eagle" nach St. Louis ausgestattet. Dieser Zug war es, fuer den Mexico bei Schindler in der Schweiz sogar eine eigene Luxusgarnitur mit der Absicht bestellt hatte, diese bis USA laufen zu lassen. Doch wie sieht die Nr. 1 im Februar 1995 aus: drei Gueterwagen und zwei Reisezugwagen, laut Cook nur die zweite Klasse bis Nuevo Laredo, die erste bloß bis San Luis Potosí, das ist alles....

Der Glanz der Expreßzuege lebt nurmehr am Abstellgleis nebenan: der Aussichtswagen 3518 mit "round end", sichtlich ein amerikanischer Pullman-Standard aus den vierziger Jahren, dahinter ein sechsachsiger Schlafwagen mit offenen Plattformen aus den Zwanzigern, der Speisewagen "Zempoala" und der "Club Teocalli", beide der japanische Lizenztyp, am Prellbock der ehrwuerdige Salonwagen Nr. 3 in ganz dunklem Gruen mit offenen Plattformen. Solche Salons sind vor Jahren noch in planmaeßigen Zuegen gelaufen. Beim Photographieren protestieren schon von weitem zwei Zivilisten, es sind Eisenbahner, sie sind freundlich, erklaeren aber, dass Photoverbot bestehe und, dass es im eigenem Interesse besser sei, bei der Direktion eine Erlaubnis einzuholen. "Und der Salon? Dient er dem Praesidenten?" - "Nein, die Praesidentenwagen stehen weiter abseits. Der Praesident benuetzt kaum den Zug." - "Sicherheit?" - "Er wird ueberall gut bewacht."

Wieder auf dem Bahnhofsvorplatz angekommen, sind Sirenen zu hoeren, ein Streifenwagen rast heran, vier Polizisten, die Maschinenpistolen in der Hand schwingend, rennen in den Bahnhof, Polizeimotorraeder knattern, dann ist der Spuk vorueber. Sie werden doch nicht den Eisenbahnphotographen gesucht haben? Am Flughafen immerhin sind Hobbyphotographen schon von (verkleideten?) Polizisten verschleppt und ausgeraubt worden...

Am anderen Tag, beim Ausflug zu den Ausgrabungen von Teotihuacán, ist vor den Huegeln unterhalb der schneebedeckten Fuenftausender Ixtaccihuatl und Popocatépetl ein Gueterzug auf dem Weg nach Sueden zu sehen, auch er mit einem hellblauen Diesel-Zweiergespann. In der Nacht faehrt hier in jenem Jahr noch "El Jarocho" nach Vera Cruz. Sein ebenfalls im Cook verzeichneter Fluegel "El Meridano" nach der Halbinsel Yucatan aber ist etwa zwei Jahre zuvor eingestellt worden, wie die Eisenbahner erklaert haben. In einem Photoband war er mit 4 Diesellok, 5 Gueterwagen, noch einer Diesel und 6 Reisezugwagen abgebildet. Der verstorbene Eisenbahn-Weltreisende Dr. Fritz Stoeckl hatte ihn 1972 erlebt, als er ein separater Zug war, mit einem Schlafwagen auch der Unidos del Sureste: "Der (zweite) Abend vergeht mit den netten Leuten im Speisewagen. Am naechsten Morgen erreichen wir den Golf von Campeche - weithin tropische Sumpflandschaft, wir sind hier schon in der Tierra caliente... Gegen Mittag kommen wir dann in Merida an, wo uns in der duesteren Halle eine museale Dampflok und ein etwas antiquierter Schlafwagen begrueßen. Ausfluege zu den Tempel- und Ruinenanlagen von Uxmal und Chichen-Itza bilden den Hoehepunkt."

Im Norden fuehrt die Strecke fast in Sichtweite an den Ruinen von Teotihuacán vorueber, der triumphalen "Straße der Toten", an deren Ende, unterhalb der duesteren Berge, sich die dreiundvierzig Meter hohe Mondpyramide erhebt, in einem rechtwinkligen Achsenkreuz dazu die hoehere Sonnenpyramide, nicht als Herrschergraeber, sondern als Berge aus Schutt und Stein gebaut, "Geburtsort der Goetter" fuer die Azteken, deren Goetter die Gestirne, die Erde und die Natur waren.


Teotihuacan (WS)




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