trains-worldexpresses.com
T r a v e l s  -  R e i s e n




E x p r e s o   d e l   S u r



Cuzco - Quillamba 1996 (WS)

Download this picture with 1500 pix, 300 dpi (657 KB)


Die Zehnmillionenstadt Lima, die Hauptstadt Perus, gilt als die aermste und die gefaehrlichste Metropole Suedamerikas. Die Überlandstraßenbahnen nach dem Hafen Callao und der exotischen Steilkueste von Miraflores haben laengst Kleinbussen Platz gemacht, deren Fahrer sich im Kampf Meter um Meter die Spiegel wegfahren, vor den Hotels wachen bewaffnete Polizisten und den Touristen wird geraten, sich die Taschen vorne, nicht seitlich umhaengen. Die beruehmte Central-Bahn verlaeuft an dem braun schaeumenden Río Rimac entlang und an dessen Ufer steht der Bahnhof Desamparados. Aus der Naehe photographieren kann man ihn nicht, denn oberhalb ist eine kleine Panzerkompanie aufgebaut, nicht wegen des Bahnhofs, sondern wegen des nahen Regierungspalastes. Es gibt ohnehin keine Zuege mehr zu photographieren: Die Gleise sind leer, der "Tren del Sierra" verkehrt seit Jahren nicht mehr. Zwei Alco-Diesel der ENAFER, frueher "Andes"-Dampflok des Ferrocarril Central, hatten von dort aus seine Teakholz-, spaeter Ganzstahlwagen, auf Normalspur nach dem 332 km entfernten Huancayo gebracht - in zwei Zugteilen durch die in 2390 Metern Hoehe beginnenden Spitzkehren, ueber die Bruecke mit dem schaurigen Namen "Infernillo" hinweg und durch den 4781 Meter hoch gelegenen Galera-Tunnel hindurch.

Die alte Inka-Hauptstadt Cuzco hatte diese Bahn nie erreicht. Man naehert sich ihr heute mit Aero Perú, mindestens ebenso halsbrecherisch, im Sinkflug und in einer Steilkurve, als haette der Pilot die Boeing auf die linke Tragflaechenspitze gestellt, um einen Berg herum von Sueden. Im Norden schließt ein Pass das Tal ab und diesen erklimmt die Drei-Fuß-Schmalspurbahn der damaligen ENAFER, der fruehere Ferrocarril Cuzco-Santa Ana (FCCSA). Sie bringt taeglich einige hundert Auslaender nach dem Inka-Heiligtum Machu Picchu.

Am fruehen Morgen, der hier, in ueber dreitausend Metern Hoehe, empfindlich kalt sein kann, holen Kleinbusse die Touristen von den Hotels ab. Ein Markt, das ist der Vorplatz des Bahnhofs San Pedro. An den hermetisch abgeriegelten Bahnsteigen wird an jenem Februartag 1996 zuerst der "Turistico" bereitgestellt, ein dreiteiliger Triebwagenzug von Macosa/MAN aus dem Jahr 1984, dann der "Pullman" mit der sechsachsigen Diesellok Nr. 483, einer MLW von 1974, und fuenf Erster-Klasse-Wagen, daneben der Personenzug nach Quillamba mit der sechsachsigen Alco Nr. 482 und ebenfalls fuenf Wagen. Im Schuppen steht einer der 1966 von Ferrostaal fuer den Touristenverkehr gelieferten, damals in Silber und Hellblau glaenzenden Aussichtstriebwagen, heute orangerot mit gelb gestrichen wie alle Zuege hier. Bis 1970 waren noch zahlreiche Dampflokomotiven eingesetzt, meist deutsche und amerikanische Mikado.

"Ich bin so lange nicht mehr Eisenbahn gefahren", sagt er Amerikaner gegenueber in dem Großraumwagen des "Pullmann". Huebsche Stewardessen in grauen Kostuemen servieren das Fruehstueck, waehrend der Zug schon in der zweiten Spitzkehre wendet, die Lokomotive immer am gleichen Ende, zwischen Lehmziegelhuetten und winkenden Kindern. Die Haeuser der Viertelmillionenstadt Cuzco, die Barockkirchen und Kloester, liegen unten im Dunst. Dritte und vierte Kehre, jedesmal ein Ruck, Krachen der Kupplungen, das Anfahren wird schwieriger. Die MLW ist in schwarzen Qualm gehuellt, von hinten kommt der Personenzug immer naeher. Die folgenden Schlaengelkurven sind besonders steil, der andere Zug holt uns ein, faehrt wenige Meter hinter dem letzten Wagen her - alles auf Sicht - und dahinter folgt solo eine Diesellok, ausgesandt offenbar um die ganze Fuhre den Berg hinaufzuschieben. Auf dem Arcopuno-Paß, in 3600 Metern Hoehe, ist der Kampf unserer Lok zu Ende. Der Personenzug ueberholt uns, ueberfuellte Wagen zweiter Klasse, mit Segunda, Subida oder Bajada beschriftet.

Die nachgekommene Alco Nr. 487 setzt sich an die Spitze des "Pullmann". Mit neuer Kraft geht es durch enge Kurven abwaerts - man muss sich festhalten - in ein gruenes Hochtal, dann in eine Schlucht aus rohem Fels, wieder durch zwei Spitzkehren und ueber eine Bruecke in das Tal des Río Urubamba. In einer Station, es muss Ollantaytambo sein, verkaufen Frauen und Kinder Handarbeiten, bunt und fremdartig. Das Gleis fuehrt rechts neben dem Fluss weiter abwaerts, hoch oben ist eine weiß verschneite Bergpyramide zu sehen, links ragen bizarre Felsformationen und ueberhaengende Zacken auf. Die Schlucht wird immer wilder, die braunen Wasser schaeumen ungeheuerlich, die Berge werden hoeher, die Spitzen immer drohender. Eine fragile Steinbruecke markiert den beruehmten Inka-Pfad, der in zwei Tagesmaerschen zum Heiligtum Machu Picchu fuehrt. Immer tiefer wird das Tal, immer ueppiger die Vegetation, der Strom fließt an eingebrochenen Ufern und an Felsabstuerzen entlang, unter Urwaldbaeumen und Schlingpflanzen hindurch. Dickicht, Sumpf, Blaetter und Schilf saeumen das Gleis...

Aguas Calientes, ein Haltepunkt, Marktbuden, Verkaeufer, drangvolle Enge. Puente Ruinas ist die naechste Station, hier steht der vorausgefahrene Triebwagen, hier ist Endstation der Touristenzuege, in nur mehr 2040 Metern Hoehe. Über eine halsbrecherische Lehmstraße fahren Kleinbusse hinauf zum Heiligtum und immer wieder, in den Kehren, geht der Blick hinab in die Schlucht, aus der nun ganz klein, rot-gelb, ein Zug heraufleuchtet, vielleicht der Personenzug nach Quillamba.

In schwindelnder Hoehe stehen die Ruinen aus Granit auf Granitfelsen, fast senkrecht fallen die Steilhaenge ab, bis oben hin mit Gruen ueberwuchert. Über die noch hoeheren Andenberge ziehen Gewitter herunter. Ein Kondor kreist vor den Wolken und unten in der Tiefe folgt das einsame Gleis dem wilden braunen Urubamba nach Norden. Es ist der Ursprung des maechtigsten Flusses der Erde, des Amazonas.


Cuzco - Puno, La Raya 1996 (WS)

Puno, Lago Titicaca, the steamer “Ollanta”, 1996 (WS)

Das Taxi kommt an jenem 7. Februar 1996 gerade noch rechtzeitig am Normalspurbahnhof Huanchac in Cuzco an, genauer an einer Mauer mit Haendlern, Schuhputzerjungen und Koffertraegern davor und einer bewachten Tuer, die zum Bahnhof fuehrt. Dort stehen in einem engen Flur Hunderte von Reisenden - und warten. Als der Zug schon abgefahren sein sollte, wird er bereitgestellt: orange mit gelb lackierte kurze Vierachser, rostnarbig, die drei Wagen der "Segunda" am Zugschluß, nicht viel besser zwei "Primera", dann "unsere" Touristenklasse, naemlich der Buffetwagen Nr. 1917, davor Nr. 1541, der von Reisegruppen bevorzugte "Servicio Inka". Bis hier sind es neuere Wagen aus Rumaenien, an der Spitze aber ist ein alter englischer "Equipaje" fuer das Gepaeck eingereiht. Und so steht der Zug auch nach einer Stunde da, noch immer ohne Lokomotive. Reisende machen unterdessen Picknick auf den Gleisen, gegenueber faellt ein uralter hoelzerner Vierachser in gruenem Anstrich mit den gelb angeschrieben Namen "Areqipeño" und der Nummer 101 auf, weiter weg stehen die Kaesten zweier Diesellokomotiven, die 1962 von Mitsubishi fuer die Schmalspur gelieferten BoBo. Sie sind gruen gestrichen mit der gelben Aufschrift Ferrocarril Cuzco-Santa Ana.

Endlich, nach zwei Stunden, setzt die Diesellok 653 an den Zug, eine sechsachsige MLW aus den siebziger Jahren, orangerot statt im frueheren gruen-cremefarbenen Anstrich. Sie hatte zuvor Gueterzuege rangiert, es ist die einzige Lokomotive vor Ort. Um 10 Uhr 15 geht die Fahrt des "Tren Turistico" los. Abends soll er den 385 km entfernten Hafen Puno am Titicaca-See erreichen, wo einst die Dampfer nach Bolivien ablegten.

Die eingleisige Strecke der frueheren Suedbahn fuehrt durch ein schoenes Tal suedwaerts, umgeben von gruenen Bergen, vorueber an Doerfern aus Lehmziegeln, an Kindern und an Viehherden. Irgendwo schaukeln die Wagen auf einem provisorisch angelegten Bahndamm um eine Erdrutsch herum, den die Unwetter der vorangegangenen Tage verursacht haben, aber auch sonst schwankt der Zug auf den kurzen Schienen bedenklich. Die Linie muendet in ein Flusstal und wieder ist es der Urumbamba, diesmal sein Oberlauf.

Der Kellner deckt die Tische in unserem Buffetwagen. Die Bestellung fuer das Menue war am Morgen aufgenommen worden. Sieben US-Dollar, das koennen sich nur Touristen leisten, und dafuer gibt es Thunfischsalat auf Toast, dann Curryhaehnchen mit Reis, Banane und Kaffee. In den benachbarten Wagen balanciert der Kellner die beladenen Tabletts mit einem weiten Schritt ueber die Mittelpufferkupplung hinweg, und das bei dem staendigen Ruetteln und Schwanken des Zuges!

Er hat geraten, die Fenster zu schließen, denn es ist Karneval und da werden wassergefuellte Ballons hereingeworfen. Gerade noch rechtzeitig hat es unsere Tischnachbarin, eine Argentinierin, bemerkt: Jungen haben gar einen Feuerwehrschlauch mit Motorpumpe auf den Zug gerichtet, mancher der Reisenden nimmt ein unfreiwilliges Bad... Es geht in ein Seitental, ein kleiner Fluss verliert sich bald in sumpfigen Wiesen. Der Himmel hat sich verduestert, unter einem Schauer faehrt der Zug in die Provinzstadt Sicuani ein. Haendler bieten ihre Waren an, in den Touristenwagen spielt eine Inka-Band und verkauft Kassetten.

Das Gleis fuehrt in eine immer kahler werdende Grassteppenlandschaft. Regen huellt nun die Gipfel ein, die ersten Lama-Herden sind zu sehen, im Radfahrertempo geht es aufwaerts, durchdringend rasselt der Diesel. An einer Ausweichstelle, La Raya, 4313 Meter ueber dem Meeresspiegel, wartet der Gegenzug. Nur die Central-Bahn erreicht in Peru mit 4818 Metern einen noch hoeheren Punkt. Links im Nebel steckt eine gewaltige Bergwand mit Schnee.

Der Kellner serviert Kuchen, Kaffee oder Koka-Tee. Das Trinken aber wird zum Balancieren, so sehr schaukelt, ruettelt, springt fast der Wagen bei der Fahrt abwaerts ueber den ausgespuelten Bahndamm. Das Wasser der Überschwemmungen reicht stellenweise bis an die Schienen, die Erdstraße nebenan geht durch eine Furt, vorsichtig versuchen zwei Lkw und ein Bus, die Fluten zu durchqueren. Bei Ayaviri weitet sich das Tal zu einer Hochebene. Die fernen Berge im Westen zeichnen sich nun gegen den Horizont ab, Gewittertuerme brauen vor der Abendsonne.

Ein Fluss verliert sich ostwaerts in der Grasflaeche, dorthin, wo der Titicaca-See sein muß. Bei Dunkelheit faehrt der Zug, vorueber an Vorstadthaeusern, Fußgaengern und Fahrradrikschas, in Juliaca ein. 18 Uhr 40, der Lokfuehrer hat ueber eine Stunde Verspaetung aufgeholt. Der Gepaeckwagen wird auf ein anderes Gleis rangiert, vielleicht fuer den Nachtzug nach Arequipa, der hier aus Puno entgegenkommen soll. Das Licht geht aus - "the theft stop", der "Halt der Diebe", so verheißungsvoll beschriebt das Handbuch den Stop hier. Es sind aber nur Jungen, die Musik machen, welche sich jetzt auf der Plattform aufhalten. Bei einem weiteren Halt in der Dunkelheit kommt endlich der "Pullmann" entgegen: eine MLW-Diesellok, Gepaeckwagen, zwei Liegesitzwagen, dann Primera und Segunda, das ist alles. Weiterfahrt, 20 Uhr 30. Der Mond steht am Himmel, die Lichter einer Stadt spiegeln sich im Wasser - Puno, Endstation am Titicaca-See.

Puno am anderen Morgen, eine kleine Stadt auf dem Altiplano im Regen, was kann es Tristeres geben. Der Bahnhof aus Stein wirkt wie ein Militaerunterstand, gegenueber stehen staendig zwei Soldaten mit Maschinenpistole im Anschlag und ein Blick durch die Gittertuer auf den eingelaufenen "Pullman" genuegt, um einen Bahnpolizisten kommen zu lassen, der auf die Frage, ob ein Photo erlaubt sei, militaerisch kurz mit einem "no" antwortet. Nachmittags wird das Tor geoeffnet, welches die Bahnhofsgleise abriegelt und die sechsachsige Diesellok 360, eine Alco von 1963, faehrt mit Gueterwagen zum Hafen, nachdem ein Polizist die auf dem Gleis aufgebauten Marktstaende hat wegraeumen lassen. Im einzigen Hafenbecken liegt tatsaechlich noch der Dampfer "Ollanta" - schwarzer Rumpf, weiße Aufbauten, roter Schlot wie ein Cunard-Liner - der in seinen Kabinen die Weltreisenden nach Bolivien gebracht hat. Er befoerdert nur mehr Fracht, zusammen mit dem Trajektschiff "Manco Capac". Daneben ist die zum Tanker umgebaute "Yavari" vertaeut, die als erster Dampfer 1861 in Einzelteilen auf Maultieren vom Meer heraufgetragen worden war, in eine Hoehe von 3808 Metern. Der Passagierdienst ist vor Jahren eingestellt worden. Nur in kleinen Motorbooten kann eine Fahrt unternommen werden, durch die mit gruenen Algen zugewachsene Hafenbucht zu den schwimmenden Inseln aus Torf und Papyrusschilf, auf denen noch immer die Uros hausen, ihrer Ansicht nach das aelteste Volk der Welt, von dem die Legende behauptet, dass es aus jener Urzeit stammt, in der die Erde in immerwaehrende Feuchtigkeit und dichte Nebel gehuellt war.

Ein Mercedes-Bus faehrt statt der Dampfer nach Bolivien. An der Grenze muss ausgestiegen werden, in einer kahlen Amtsstube unter dem Bild des peruanischen Praesidenten werden die Paesse gestempelt. Dann muss man zu Fuß die Grenze ueberschreiten. In einer anderen kahlen Amtsstube, unter dem Bild des bolivianischen Praesidenten, werden abermals die Paesse kontrolliert. Die Seite mit ganz vielen DDR-Stempeln und einem chilenischen wird besonders aufmerksam betrachtet. Beim Einsteigen in den Bus befiehlt ein Offizier in die Wache. "Sie haben photographiert", sagt er drohend, " der Film wird beschlagnahmt". Vielsagend zieht er eine Handvoll bereits erbeuteter Filme aus der Schublade. Jedoch, man koenne stattdessen auch zwanzig Dollar bezahlen und den Film behalten. Nach Geschaeftsabwicklung gibt es - einen herzhaften Haendedruck, "Suerte" wuenschen die Offiziere strahlend, Glueck und eine gute Reise...

Gegen Abend findet sich der Bus schlagartig vierhundert Meter ueber einem Abgrund, Hochhaeuser wie Streichholzschachteln unten, die Millionenstadt La Paz, in Wolken darueber der fast siebentausend Meter hohe Illimani. Neben der Straße, nun eine Stadtautobahn, windet sich die Meterspurtrasse des einstigen Ferrocarril Guaqui - La Paz abwaerts. Sie war elektrifiziert, doch seit Jahren ist sie stillgelegt. Auf dieser Strecke sind die Passagiere von der "Ollanta" in der Hauptstadt Boliviens angekommen.


La Paz (WS)

Download this picture with 1500 pix, 300 dpi (424 KB)


Die Estación Central von La Paz ist ein kleiner Gruenderzeitbahnhof mit Stuck und Tuermchen. Unter den Bahnsteigdaechern steht auf Meterspur an jenem 9. Februar 1996 ein silbern mit hellblau - roten Streifen lackierter Sechswagenzug der ENFE Bolivia in modernstem Design! Der Kenner konstatiert argentinische Fiat-Wagen, einer so makellos wie der andere, am Schluss ein Speisewagen eigener Rekonstruktion und ein "Salón", wohl mit Liegesitzen. Ein Eisenbahner antwortet auf die Frage, wohin der Zug fahre, stolz "Argentina", jeden Freitag um 13 Uhr, allerdings nur mehr bis in die Grenzstation Villazón. Es ist der "Expreso del Sur", das stolze Gegenstueck zum iberischen Sud-Express. Heute ist Samstag, es sind keine Fahrgaeste da, dafuer Polizisten mit Schutzschildern und Maschinenpistolen - es wird naemlich gestreikt, wegen der Privatisierung.

Dienstag, 13. Februar 1996, in der Estación Central: Nach einem aelteren Fahrplan sollte abends der "Ferrobus" auf dem Ferrocarril Arica-La Paz nach dem Grenzbahnhof Charaña fahren. Es steht aber nur der leere Expreso del Sur da, dahinter ein Kuehlwagen im gleichen Silberanstrich. Die Abfahrt des Ferrobus ist fuer 7 Uhr 15 morgens angeschrieben. Es sei ein bolivianischer Triebwagen, der wirklich bis Arica laufe, sagt ein Eisenbahner. Vom Maerz an werde "el Internacionál" ein chilenischer sein.

Wegen des Streiks ist es nicht moeglich, mit dem Zug in Richtung argentinische Grenze zu reisen, aber wenigstens soll es mit dem Bus nach Sueden gehen. Es ist ein dreiachsiger Marco Polo-Mercedes der Flota Bolivia, der den Altiplano erklimmt und oben ein Gleis kreuzt, das unter tiefhaengenden Wolken suedwaerts fuehrt - der ehemalige Ferrocarril de Antofagasta a Bolivia oder FCAB, die Strecke des Expreso del Su". Hier fuhren bis 1968 die wuchtigen kleinraedrigen Mountain von Vulcan Foundry - bis zu vier Maschinen fuer die Steigung hinauf zum "Alto". Oben verlieren sich Gleis und Straße in der grenzenlosen Monotonie der Hochebene. Nur selten ist ein Dorf aus Lehmziegeln zu sehen oder eine Alpaka-Herde in der Einsamkeit. Nach vier Stunden kuendigen abgestellte Gueterwagen die Bergbaustadt Oruro an.

Hier sollte ein anderer "Internacionál" den Ausgang nehmen, der einmal woechentliche Zug nach dem chilenischen Hafen Antofagasta. Mitreisende hatten erzaehlt, dass sie vor vielen Jahren noch mit seinen altmodischen gruenen Waggons, darunter einem Speisewagen, nach Bolivien heraufgekommen waren. In diesem Fruehjahr 1996 aber waren es nur mehr zwei Fiat-Wagen zweiter Klasse der ENFE, die in Calama, nicht in Antofagasta, abends nach Oruro abfahren sollten, wie ein Freund erzaehlte. Doch sie fuhren an jenem Maerztag erst am anderen Morgen los, angehaengt an einen Gueterzug. Es war naemlich nur dessen eine Lokomotive einsatzfaehig, eine amerikanische Diesellok der FCAB. An der Grenze uebernahm eine gruene Hitachi der ENFE und sogar ein Speisewagen wurde angehaengt.

Oruro ist ein staubiges Nest am Ende Welt. Einst aber war es als Stadt des sagenhaften Zinnbarons Don Simón I. Patino groeßer als Buenos Aires, uebertroffen bloß von dem legendaeren Potosí. Durch die Zinnkrise wurde Oruro zum Zentrum der Arbeitslosigkeit (nur die Anschrift "Barones" auf dem Herrenklo, statt des ueblichen "Senores" oder "Caballeros", scheint an bessere Zeiten zu erinnern). Am Bahnhof steht einer der rotbraun mit beige gestrichenen Zuege aus Fiat-Wagen, daneben die hellgruene Hitachi-Diesellok DE 964, weiter draußen gelbe Gueterzug-Diesel, ebenfalls von Hitachi, alles verlassen wegen des Streiks. Auf dem nach Norden herausfuehrenden Gleis aber tanzen an jenem Tag Tausende von Menschen: es ist Karneval, eine Band nach der anderen zieht vorueber, die Burschen zielen mit Wasserballons auf die huebschen Maedchen, weswegen viele in glitzernde durchsichtige Plastikhuellen gekleidet sind, und alles bewegt sich zu einer fremdartigen, beinahe militaerischen Musik, den ganzen Nachmittag, den ganzen Abend, die halbe Nacht lang.
Den Zug nach Villazón mit der gruenen Hitachi sollte einen Monat spaeter der Freund benuetzen. Streiks gibt es noch - an jenem Tag fuehren sie aber "nur" zu acht Stunden Verspaetung - und es laeuft ein Speisewagen bis Uyuni. In Villazón muss auf das Taxi umgestiegen werden, auf argentinischer Seite auf den Bus. Die Meterspur durch das Gebirge nach Jujuy, die Strecke des einstigen Schlafwagens La Paz-Buenos Aires, ist stillgelegt, stellenweise sind die Schienen schon verschwunden...

Train Oruro - Villazon, Hitachi no.964, Oruro, Feb.1996 (WS)


Sud-Express adieu  In memoriam  AVE Madrid - Sevilla  Tunis  Le Maroc  "Le Mistral du Senegal"  Mexico 
Cuba, Costa Rica, Panama  Auf Humboldt's Spuren  Expreso del Sur  Rio de Janeiro  Nach Paraguay  Argentina - no corren  Transandino nach Chile